„Zwei Seelen wohnen, ach!, in meiner Brust“ schrieb schon einst Goethe. (Un)trennbar verbunden zeigten sich die Schauspielerinnen Miriam Fontaine (als Olga) und Barbara Wegener (als Jenny) in Clara Rybaczek berührendem Stück „TWO IS THE LONELIEST NUMBER“. Gespielt wurde im Wiener Spektakel.
Da im Durchschnitt drei von zehn siamesischen Zwillingen pränatal versterben, kommt nur etwa ein siamesisches Zwillingspaar auf eine Million Lebendgeburten. Der Name siamesische Zwillinge kommt vom Zwillingspaar Chang und Eng Bunker (1811–1874). Die beiden Brüder wurden in SIAM (heute Thailand) geboren, wurden unter dem Namen „Die siamesischen Zwillinge“ als Jahrmarktsattraktion bekannt und gaben so dieser humanen Fehlbildung den Namen. Die Brüder heirateten die zwei Schwestern Adelaide und Sarah Yates und zeugten mit ihnen insgesamt 18 Kinder. Beide Brüder starben nur wenige Stunden nacheinander.
Ein Thema, mit dem ich mich zuvor so gut wie nie beschäftigt habe, und welches mich im Laufe dieses Abends zunehmend ergriffen und zum Denken angeregt hat: wie lebt es sich zu zweit in einem Körper? Wie bestreitet man den Alltag, wenn man nie alleine ist? Auf der Toilette zum Beispiel. Oder beim Knutschen mit dem Freund? Was wenn die eine gern Musik hört während die andere gern liest und ihre Ruhe haben will? Bekommt die eine Gänsehaut, überträgt sich das auch auf die andere? Wenn man träumt, träumt die andere dann mit? Die Vorstellung, niemals alleine sein zu können, macht mir Anfangs Angst. Zunehmend begreife ich aber: Die Vorstellung immer zu zweit gewesen zu sein und plötzlich getrennt zu werden, ängstigt mich noch umso mehr. Man kennt es ja nicht anders, ist sich selbst- und seiner Schwester- der Nächste. Da es sich bei siamesischen Zwillingen um eine quasi parasitäre Lebensgemeinschaft handelt, ist nicht verwunderlich, dass auch die Lebenserwartung exponentiell mit jedem Jahr sinkt. Stirbt der eine, stirbt der andere, das ist ganz klar. Aber was, wenn man einen retten kann? Ein Menschenleben gegen zwei.

Vor diese Entscheidung werden die beiden Schwestern (MIRIAM FONTAINE und BARBARA WEGENER) plötzlich gestellt. Chirurgisch eine Herausforderung, psychologisch umso mehr. Wer entscheidet, welches Leben Mehrwert hat? Ist beispielsweise der Präsident mehr wert als Olga oder Jenny? Opfert man sich für die andere oder stirbt man doch lieber gemeinsam? Ein Schnitt am Rückenmark entlang, ein Schnitt, gleich einer nachgeburtlichen Abnabelung und der eine Zwilling wäre „frei“. Der andere tot. Unwiederbringlich.
Einfühlsam, berührend und emotional bewegend geben uns diese zwei jungen Schauspielerinnen Einblick in eine Welt, in welcher ich nicht leben möchte. Wie handelt man als Mutter, wenn man weiß, dass man nur ein Kind retten kann? Schön auch der Griff zum Mikrophon, um sprunghaft schnell in andere Personen zu schlüpfen. Glaubhaft erzählen die beiden die Tragik ihres kurzen Seins. Zumal wird vielleicht ein bisschen viel mit Requisiten gearbeitet. Das bräuchte es gar nicht, die beiden überzeugen auch so.
Fazit: Gut geführte Regie von CLARA RYBACZEK. Absolut Sehenswert. Mehr davon! Leider ist das Stück bereits abgespielt.

TWO IS THE LONELIEST NUMBER
von Corraxía Cortez
mit Barbara Wegener (Jenny), Miriam Fontaine (Olga)
SPEKTAKEL THEATER
Hamburgerstraße 14
1050 Wien
Zwei Schwestern. Ein Körper. Theaterstück über siamesische Zwillinge.
Wie viele Menschen haben in einem Körper Platz? Und wie viele Personen in einem Ich?
Jenny und Olga. Siamesische Zwillinge, untrennbar miteinander verbunden. Grotesk, doch wunderschön. Ein gemeinsames Organ hält sie am Leben, dann versagt es ihnen den Dienst. Grundwerte geraten in die Krise: Soll eine sterben, damit eine leben kann? Muss es heißen: Jenny ODER Olga?
REGIE
Clara Rybaczek
DRAMATURGIE
Annalena Stabauer
BÜHNE
Veronika Lassenberger
MUSIK
Johannes Tröndle
KOSTÜM
Sigrid Dreger
PRODUKTIONSASSISTENZ
Philomena Strack
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